Heute teile ich mit euch eine sehr persönliche Geschichte, die ebenfalls ihren Ursprung in Lateinamerika hat: Mein Leben mit dem Reizdarmsyndrom.
Wahrscheinlich hatte jede und jeder von euch schon einmal Darmprobleme- von Blähungen, Verstopfung oder einen Magen-Darm-Infekt und ihr könnt nachvollziehen, wie elend man sich damit fühlt. Stellt auch das nun chronisch vor- jeden einzelnen Tag! Willkommen in meinem Leben.
Wie konnte mir das passieren?
Derjenigen, die während des Auslandsjahres in Kolumbien vor den anderen deutschen Freiwilligen angab, alles essen zu können und einen sehr robusten Magen zu haben. Von arepa bis cóctel de camarones– egal welcher Essensstand auf meinem Weg lag- ich machte vor nichts Halt. Und es ging mir super. Das war in den Jahren 2010 und 2011. Erst als ich 2015 nach Mexiko ging und erneut in einem Kindergarten arbeitete begann die Misere. Ich fing mir mehrmals einen Magen-Darm-Infekt ein und nahm in kurzer Zeit hintereinander Antibiotika. Oft sind Antibiotika der einzige Weg zur Genesung, doch in meinem Fall waren die Einnahmen teilweise unnötig, was ich jedoch nicht hinterfragte und bedachte. So ein Antibiotikum zerstört nicht nur die „bösen“, sondern auch die „guten“ Darmbakterien und bringt so die Darmflora ins Ungleichgewicht. Mein wichtigster Rat an euch also: Meidet Antibiotika so gut es geht und nehmt sie wirklich nur ein, wenn es notwendig ist!
Nach den ganzen Infekten und Antibiotikaeinnahmen merkte ich, wie meine Verdauung immer unregelmäßiger wurde und ich mich oft aufgebläht und müde fühlte. Hinzu kam eine stressige Phase, in der ich eher versuchte, die Erwartungen anderer zu erfüllen, als auf meine eigenen Bedürfnisse zu hören. Ich gönnte mir keine Ruhepausen und war rund um die Uhr unterwegs. Manchmal hätte ich einfach losheulen können, nur um die ganze Anspannung und Frustration rauszulassen.
Reizdarm und Stau- keine gute Kombi
Ich erinnere mich noch ganz genau an die erste peinliche „Eskalation“ meines gereizten Darms:
Ich war tagsüber mit meinem damaligen Freund, seiner Schwester und deren Freund in Acapulco und habe in einem Restaurant Spare Ribs gegessen (nicht gerade darmfreundlichen Essen…), anschließend machten wir uns alle zusammen im Auto auf den Weg zurück nach Mexiko-Stadt. Es war Nachmittag und, wie eigentlich immer in Mexiko, standen wir in einem Stau. Plötzlich grummelte mein Magen und ich sagte leise zu Edu, dass ich zur Toilette müsse. Seine etwas lautere Antwort war „Warum musst du denn ständig pullern?“ Ich schaffte es nur noch kurz zu antworten, dass ich nicht pullern muss und riss die Autotür auf. Neben uns war eine Leitplanke, dahinter ein steiler Abhang in den Wald und hinter uns kilometerweise Autos. Ich entschied mich für die sichere aber peinlichere Variante – direkt neben dem Auto.
Als ich zurück ins Auto kam schaute Edu´s Schwester aus dem Fenster und ihr Freund tat so als würde er schlafen, obwohl er eine Minute vorher sehr munter geredet hatte. Im Nachhinein muss ich darüber lachen, doch in diesem Moment fühlte ich mich wortwörtlich beschissen und wäre am liebsten im Boden versunken oder doch einfach den Abhang hinuntergestürzt!
Besserung in Deutschland?
Seit diesem Tag hatte ich regelmäßig Probleme, doch ich dachte, dass es am scharfen Essen, den vielen Bohnen, halt einfach an Mexiko lag. Auf einer anderen Autofahrt riet mir der Vater meines damaligen Freundes, mir einfach an den Ohrläppchen zu ziehen, wenn ich plötzlichen den Drang hatte zur Toilette zu gehe. Der Ratschlag war natürlich Quatsch und auch viel zu spät: Erst mit meinem Hinweis, dass ich gleich ins Auto sch**** , wurde plötzlich angehalten und ich aus dem Auto gelassen um ins nächstbeste Restaurant oder Café zu rennen. Nachdem der Ohrläppchen-Trick nicht funktionierte sollte ich zu einem in Mexiko-Stadt ansässigen Schweizer Heilpraktiker gehen, der mir neben seinen teuren selbst gemachten Tees und einfachen Kohletabletten auch Antibiotika (!) verschrieb. Blöderweise befolgte ich seine Anweisungen und hatte am Ende einfach ein leeres Portemonnaie. Die Familie meines damaligen Freundes schwörte auf diesen Arzt und teilte mir mit, dass es bei mir nur nicht funktioniere, da ich nicht gesund werden wolle! Alles nur eine Frage des Willens und positiven Glaubens…
Und so begann ich mich wirklich zu fragen, ob es an mir, an meinen Gedanken und Einstellungen lag und war gleichzeitig wütend und fühlte mich nicht ernst genommen. Im Nachhinein weiß ich, dass sie mir auf ihre Art und Weise helfen wollen, doch einfach nicht wussten, wie. Ähnliche Reaktionen habe ich auch in Deutschland erlebt, von wegen „Du willst bloß mit Samthandschuhen angefasst werden“ und „Reiß dich mal ein bisschen zusammen“. Ich dachte, in Deutschland würde alles wieder besser werden. Doch das tat es nicht. Es wurde im Gegenteil immer schlimmer und kein Tropenmediziner, kein Allgemeinarzt, kein Gastroenterologe, kein Internist, kein Frauenarzt konnte mir sagen, was der Auslöser war und wie ich geheilt werden konnte.
Auswirkung auf die Psyche
Mittlerweile habe ich jeden Tag Symptome- insbesondere morgens und wenn ich gestresst bin. Eine Zeit lang war es so schlimm, dass ich öffentliche Verkehrsmittel, Cafés o.ä. mit nur einer Toilette und Treffen mit Freunden mied.
Insbesondere in der S-Bahn oder in Menschenmengen hatte ich Panikattacken und die Angst löste wiederum Symptome aus. Aus diesem Teufelskreis kam ich nur dank einer Verhaltenstherapie und der Unterstützung meiner Familie und Freunde wieder heraus. Ich war so verzweifelt, hasste meinen Körper und kasteite mich nach jedem Toilettengang oder grübelte stundenlang über den Auslöser nach. Wenn ich in der WG einer Freundin zu Besuch war und eine der Mitbewohnerinnen plötzlich ankündigte, dass sie nun duschen werde (und damit das Bad für eine Weile blockierte) war das für mich ein Grund aufzustehen und zu gehen. Ich zog mich in mein Schneckenhaus zurück und fühlte mich alleine, mit meinem eigenen Bad, einfach am wohlsten. Zu Hause recherchierte ich stundenlang über das Reizdarmsyndrom und mögliche Heilungen.
Während dieser Zeit des Informierens und Recherchierens habe ich gelernt, dass rund ein Fünftel der Bevölkerung Deutschlands von einem Reizdarmsyndrom betroffen ist und die meisten davon Frauen sind. Noch ist die Forschung nicht so weit um eindeutig die Auslöser identifizieren zu können und eine wirksame Therapie nennen zu können. Die Therapieansätze richten sich nach den jeweiligen Symptomen, denn es gibt unterschiedliche Reizdarm-Typen: Verstopfung, Blähung, Schmerzen, Durchfall und Mischtypen. Je nach Symptomatik werden unterschiedliche Medikamente verschrieben. Eine Kombination, die vielen Betroffenen geholfen hat ist einerseits eine Ernährungsumstellung und eine Verhaltenstherapie, um zu lernen, mit einer chronischen Erkrankung umzugehen.
Es ist mir wichtig, offen darüber zu sprechen und zu schreiben, um dieses Thema endlich zu ent-tabuisieren.
Ich habe alle möglichen Therapien ausprobiert, von FODMAP-Diät, Probiotika, Hypnose, Traditionelle Chinesische Medizin und Verhaltenstherapie und kann sagen, dass mir die Therapie immerhin geholfen hat, den gerade erwähnten ständigen Kreislauf aus Angst und Symptomatik zu unterbrechen und mich so zu akzeptieren, wie ich bin und mein Leben zu genießen, auf gute Rahmenbedingungen zu achten und meiner Leidenschaft nachzugehen – wo wir wieder beim Reisen und Tacos wären!