Vor ein paar Wochen habe ich die Schwelle zu einem neuen Jahrzehnt in meinem Leben überschritten. 30. So, jetzt ist es raus. Aber auf die mir gestellte Frage „Und? Fühlst du dich jetzt anders?“ kann ich nur mit Nein und innerem Augenverdrehen antworten. Obwohl ich vorher selbst auch schon andere mit dieser Frage genervt habe. Bedeutet Erwachsensein immer vernünftig zu sein? Früher dachte ich, man wäre erwachsen, sobald man Zigaretten raucht und ein Auto fährt. Und auch, dass man mit 30 ein Haus, Ehepartner und mindestens ein Kind haben sollte…Nun bin ich 30, habe zwar einen Führerschein,aber fahre nicht Auto, rauche nicht und habe weder ein Haus, noch bin ich verheiratet oder habe Kinder. Bin ich damit prädestiniert für den nächsten Bridget Jones-Film? Oder muss ich mich schlecht fühlen, weil ich nicht das erreicht habe, was in in den Köpfen einiger Menschen bis zum 30. Jahren erreicht werden sollte? Dank der Emanzipation der Frauen in der Geschichte und dem Wandel alter, gesellschaftlicher Vorstellungen hin zur Selbstbestimmung der Frau und neuen Rollenverteilungen wohl eher nicht. Und auch im Kreis meiner engsten Freunde sieht das so aus wie bei mir. Auch wenn ich mich weiter umschaue und umhöre, ist das „neue Erwachsensein“ meist anders, als ich es mir noch als Kind und Jugendliche vorgestellt hatte.
Mein Verständnis vom Erwachsensein und was man mit 30 alles so erreicht haben sollte, hat sich im Laufe der Zeit immer wieder verändert. Von der Identitätssuche auf Reisen, dem Studentenleben, Auslandserfahrungen, Krisen, meiner Vorstellung vom Traumjob und wie es in der Wirklichkeit aussieht:
Einmal nach Hogwarts, bitte!

Das Erwachsensein hat sich irgendwie ganz heimlich in mein Leben geschlichen –in einigen Bereichen sehr stark, in anderen nur teil- oder zeitweise. Ich bin also nur Teilzeit-erwachsen. Kann man denn 100% und 24/7 erwachsen sein? Gibt es nur schwarz und weiß und irgendwann ist man einfach erwachsen? Und vor allem eins: vernünftig?! Ohne Nudeln Bolognese und Eis essen zu wollen und Harry Potter-Filme zu schauen?
Erst gestern habe ich mal wieder „Harry Potter und der Stein der Weisen“ geguckt und gedacht, wie schön es doch wäre, wieder 11 zu sein und noch die Hoffnung zu haben, ebenfalls einen Brief aus Hogwarts zu bekommen. Doch leider konnte ich damals schon nicht nicht zaubern und die Zeit stoppen und habe auch keinen Brief mit Unterschrift von Professor Dumbledore erhalten. Die Harry Potter-Bücher prägte mein Leben als Kind und Jugendliche und fast zeitgleich wuchs meine Generation mit dem englischen Zauberer auf. Wir haben Harry nicht nur beim Zaubern und bei Kämpfen gegen „Du-weißt-schon-wen“ begleitet, sondern vor allem beim Erwachsenwerden, beim Schließen von Freundschaften, auf der Suche nach seiner und unserer Identität und dem Umgang sowohl mit Konflikten als auch mit der ersten Verliebtheit. Damals dachte ich, dass ich auch gerne so wäre wie Hermine und immer selbstbewusst und klug antworten könnte. Dabei war ich eher wie Neville Longbottom und stolperte und träumte mich durch den Tag.
Schulzeit: Zigarettenschnorren auf dem Schulhof und Emo-Sein

Während meiner eigenen Schulzeit oder konkreter gesagt, der Zeit am Gymnasium ging es mir anfänglich vor allem darum, sehr gute Noten zu erzielen und besonders in meinem Lieblingsfach Spanisch durch Exzellenz heraus zu stechen. So bat ich die Spanischlehrerin zum Beispiel ganz streberhaft um extra Übersetzungs-Hausaufgaben oder tanzte Flamenco für die Vorstellung des Unterrichtsfaches Spanisch beim Tag der offenen Tür meiner Schule. Ich war sofort begeistert, als ich zu Hause das erste Mal spanischsprachige Musik (wie Maná, Gipsy Kings, Buena Vista Social club, Shakira) hörte und wollte genauso selbstbewusst und temperamentvoll sein wie eine spanische Flamenco-Tänzerin! Denn eigentlich war ich ziemlich introvertiert und schüchtern und erhoffte mir, durch das Sprechen einer neuen Sprache und dem Tanzen von Flamenco die Identität einer Spanierin annehmen zu können. Oder zumindest das es ein wenig auf mich abfärbt. Ich fühlte mich sehr zur spanischen Kultur und auch zu den Kulturen Lateinamerikas hingezogen und sah meine große Chance, nach dem Abitur eine Zeit im spanischsprachigen Ausland zu leben. Noch während der Schulzeit färbte ich meine Haare schwarz und besorgte mir braune Kontaktlinsen. Da mein Spanisch- und Flamenco-Hype nicht dafür sorgte, dass ich automatisch zu den Coolen gehörte, musste ich mich ein bisschen anpassen. Ich stylte mich ein bisschen „Emo“ und versuchte, mich für Slipknot und Queens of the Stone Age etc. zu begeistern. Später ging ich zu Schulpartys und ging täglich mit einer dicken Schickt Make-up in die Schule, um meinem Schwarm zu gefallen. In den Pausen schnorrte ich mir immer von irgendjemandem eine Zigarette um auf dem Hof mit den Coolen mitrauchen und -reden zu können.
Das erste Mal alleine im Ausland. In Kolumbien werde ich zur Latina!

Nach dem Abitur bewarb mich für einen Freiwilligendienst in Lateinamerika und wurde nach Kolumbien geschickt. In meinem Koffer nahm ich neben Klamotten, Kohletabletten und Nasenspray auch ein Haarteil mit- um noch längere Haare und somit noch mehr wie eine Latina auszusehen! Ich fühlte mich so wohl in Kolumbien und konnte voll und ganz meine Obsession ausleben. Nur leider ging meine Rechnung nicht ganz auf: In Deutschland passte ich nicht ganz rein, in Kolumbien aber auch nicht und war dort wieder „la alemana“. Dabei wollte ich doch nicht Deutsch sein!
Das konnte ich noch toppen: Ich belegte Tanzkurse und übte neben Salsa-Drehungen auch Cumbia, Champeta auch das afrokolumbianische Mapalé, was laut einer Freundin bei mir wie ein „Frosch mit epileptischem Anfall“ aussah. Irgendwann musste ich mir eingestehen, dass ich einfach ich bin: Sophie, deutsch, sozialisiert in Köpenick. Und was soll ich sagen: Mein Herz schlug höher als ich von meiner Mutter ein Zalando-Paket nach Cartagena zugeschickt bekam, gefüllt mit Tütensuppen, Kinder Schoko-Bons, einer deutschen Frauenzeitschrift und Pumpernickel.
Ich fühlte mich sehr reif und erwachsen, weil ich ja das erste Mal so lange (1 Jahr) alleine weg von zu Hause war und ich noch nicht einmal Heimweh hatte! ICH gab anderen Menschen Unterricht! Ok, es waren 3- bis 4-jährige Kinder, aber ich fühlte mich trotzdem sehr reif und war sehr glücklich mit meinem Leben.
Studentenleben. Back to the roots und dann ab nach Mexiko
Dieses Auslandsjahr in Kolumbien hatte mich extrem geprägt und jeden Moment habe ich sehr intensiv gelebt und erlebt. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland fiel ich in ein emotionales Loch und fand wieder alles an Berlin und Deutschland schrecklich.
Ich begann, Kulturwissenschaften in Frankfurt Oder zu studieren! Ein krasser Unterschied zum tropischen Cartagena! Trotzdem stürzte ich mich irgendwann ins Studentenleben vor Ort: ich lebte in einem Studentenwohnheim, ging zu meinen Seminaren und Vorlesungen an der Uni, aß mittags in der Mensa und traf mit abends mit Freunden, ging zu Studentenpartys und trank Bisongras-Vodka mit Apfelsaft. Obwohl all das Spaß machte und ich eine sehr gute Zeit hatte, verstellte ich mich oft um dazu zu gehören. An der Uni konnte man Jura, BWL oder Kulturwissenschaften studieren und ich wollte ja nicht von den BWLern und Juristen als typischer „Kuwi“ oder „Öko“ wahrgenommen werden! Ich ging meist ziemlich aufgetakelt in die Uni und verpasste keine Party. Meine besten Uni-Freundin Caro und ich waren für unsere Trinkfreudigkeit bekannt und wurden von anderen Kommiliton*innen schon „Team Alkoholika“ genannt. Meine damalige feste Beziehung litt unter meinem Feier-Marathon und dem Wunsch bzw. der Entscheidung, im dritten Semester wieder ins Ausland zu gehen. Erwachsensein bedeutete damals für mich, unter keinen Umständen Kompromisse einzugehen und meine Ziele zu erreichen. Meine höchste Priorität war es, meinem Drang nach Auslandserfahrungen, insbesondere im spanischsprachigen Ausland, nachzukommen, da ich diese Erfahrungen als identitätsgebend empfand und ich der festen Überzeugung war, dass „etwas mit Lateinamerika“ meine Berufung war. Ich reiste ich erneut nach Kolumbien um in Barranquilla zu studieren und im Anschluss durch das Land zu reisen.

Nach dem Bachelor entschied ich mich, nach Mexiko zu reisen und ein Jahr lang in der Deutschen Schule Alexander von Humboldt in Mexiko Stadt zu arbeiten. Und obwohl Mexiko Stadt so riesig ist und man IMMER im Stau steht, liebe ich diese Stadt! Es gibt so viel zu entdecken, so viel Kultur, das schöne Viertel Coyoacán, coole Bars, Veranstaltungen und tacos al pastor!
In Mexiko begann aber auch ein anderer neuer Lebensabschnitt für mich: mein Leben mit chronischem Reizdarmsyndrom, das mir schlagartig all die gefühlte Leichtigkeit nahm. Das erste Mal spürte ich, dass mein Körper mit der übermäßigen Antibiotika-Einnahme aufgrund verschiedener Magen-Darm-Infekte nicht mehr klar kam und es nicht mehr ausgleichen konnte. Ab diesem Zeitpunkt war und ist ein Großteil meines Alltags geprägt vom Vorausdenken und – planen, da ich wusste, das mein Körper immer mal wieder, unvorhergesehen „verrückt spielen“ konnte. Ich fühlte mich alt, weil ich ich so schlagartig meinen Lebensstil ändern musste, der vorher von meinen Launen und Spontanität ausgezeichnet war. Nun musste ich mich auf einmal an meinen Körper anpassen und musste darauf achten, was ich wann aß und dass ich lernte, mit Stress umzugehen und mich mehr um meine Gesundheit zu kümmern.
Um meine Beziehung zu meiner Lieblingsregion noch weiter zu stärken und mein Wissen zu erweitern, studierte ich im Anschluss den Master Lateinamerikastudien in Berlin. Als Schwerpunkt wählte ich Anthropologie und belegte für zwei Semester einen Maya-Sprachkurs (Ch´ol), mit dem Ziel zur Erstellung meiner Masterarbeit eine Feldforschung in einer Ch´ol Community Mexikos durchführen zu können. Ich war sehr motiviert, da mich alle Themen rund um indigene communities, wie indigene Rechte, Lebensweisen, Territorien, Nutzung von Ressourcen und Kultur beschäftigen. So organisierte ich selbstständig eine Feldforschung im Lacandón-Regenwald im mexikanischen Bundesstaat Chiapas.
Ich dachte, wenn ich mich nicht schon wie Harry Potter durch mein Leben zaubern kann, dann kann ich doch wenigstens á la Jane von Tarzan als Forscherin im lateinamerikanischen Dschungel meine Berufung finden.
Nach dem Master sah das natürlich anders aus.
Leider bekam ich weder eine Einladung aus Hogwarts, noch brachte ich es übers Herz, meiner Familie und meinen Freunden in Berlin den Rücken zu kehren und einfach in Lateinamerika zu bleiben. Als Beraterin in einer Sprachreise-Agentur für deutsch- und spanischsprachige Schüler*innen, weicht mein Alltag natürlich auch stark von meiner Dschungelforscherin-Vorstellung ab. Und die Briefe, die ich im Laufe der Zeit erhielt, waren nicht von Dumbledore, sondern von der Wohnungsbaugenossenschaft zu Mieterhöhungen, Zahnarztrechnungen und Lohnsteuerbescheinigungen. Manchmal würde ich mir gerne den Unsichtbarkeitsumhang von Harry Potter umhängen und einfach auf einem Besen davon fliegen. Doch da das nicht geht, müssen trotzdem Rechnungen gezahlt werden und es wird erwartet, dass man mit 30 so langsam die Karriereleiter erklimmt, seine Finanzen gut managt und sein „Money Mindset“ neu programmiert, jährlich die Steuererklärung macht und wenn schon Nudeln Bolognese, dann noch bitte mit veganer Bolognese-Soße aus Lupinenschrot.
Das Gute an diesem Lebensabschnitt

Endlich haben wir das Wissen darüber, was uns persönlich gut tut, wir haben (zumindest theoretisch) unser Leben selbst im Griff und können unser Geld nachhaltig anlegen oder für Sinnvolles ausgeben, sind selbstbewusster und wissen, was wir wollen und haben langjährige Freundschaften gehegt. Wir haben wahrscheinlich schon die ein oder andere Krise gemeistert, hatten eine schmerzhafte Trennung oder einen Verlust erlebt, haben gemerkt wie hart das Arbeitsleben sein kann und die Auswirkungen eventuell sogar schon gesundheitlich gespürt. Und wir können bewusst eine Entscheidung treffen, wie wir uns als Konsument*innen verhalten und inwiefern wir einen Beitrag zum Erhalt der Umwelt leisten möchten und können.
Und eigentlich haben wir auch eine Menge Spaß im sogenannten Erwachsenenleben: mit unserem selbst verdienten Geld reisen wir um die Welt, gehen in Restaurants essen, feiern, picknicken, haben Hobbies oder sind von unserem Traumberuf erfüllt und glücklich mit oder ohne Nachwuchs.

Doch trotzdem fällt mir immer wieder auf, dass sich das „Wie“ geändert hat. Während des Bachelors dachte ich immer noch, dass ich mit einem Kulturwissenschaften-Studium karrieretechnisch zwar nicht super aufgestellt sei, aber dass es schon irgendwie klappen würde. Ich dachte vor allem einfach daran, was ich zur nächsten Uni-Party anziehen würde und ob ich fürs „Vorglühen“ den normalen oder den Erdbeer-Graf Artos-Sekt holen solle. Mein Überleben sicherte ich vor allem durch Nudeln mit Fertigsoßen und Suppen-Terrinen. Vor allem zog es mich in der Vergangenheit immer wieder ins Ausland und ich genoss die vielen Möglichkeiten, die ich hatte! Vom Freiwilligendienst, Praktikum, Semester bis hin zur Feldforschung nahm ich jede Chance wahr, Richtung Süden zu reisen. Nach dem Studium ist das wahrscheinlich nur noch möglich, wenn man als Freelancer arbeitet oder sich bewusst fürs Auswandern entscheidet. Aber einfach mal so aus dem Alltag ausbrechen und ein Jahr lang in die Ferne schweifen? Schwieriger als vorher.
Meinen Geburts- und Wohnort Berlin habe ich irgendwie immer als grau und unfreundlich wahrgenommen. Das sehe ich tatsächlich auch immer noch so. Klar, gibt es auch schöne Ecken und freundliche Menschen in Berlin! Und es ist toll, dass jede*r so sein kann wie er*sie möchte und man nicht verurteilt wird. Und es ist zum Beispiel hier auch egal, oder besser gesagt sehr gewöhnlich, mit 30 eben noch nicht das „Traumleben“ mit Ehepartner, Haus, Baby und Hund erreicht zu haben. Zumindest wenn man das Privileg hatte jahrelang zu studieren und mit anderen Akademiker*innen auf der Suche nach einem gut bezahlten Job herum zu dümpeln, die Welt zu erkunden und in Berlins interkultureller Szene unterwegs zu sein.
Es ist halt etwas knifflig alle Wünsche von Freiheit und Reisen und gleichzeitig von Stabilität und einem sicheren Job und Partnerschaft unter einen Hut zu bringen! Und das wird mir das erste Mal so richtig bewusst. Insbesondere, dass ich jetzt vielleicht nicht so einfach alles abbrechen und spontan ein Auslandsjahr machen kann. Und das, obwohl ich bisher nur für mich selbst Verantwortung übernehmen muss! Doch kaum liebäugle ich mit dem Gedanken, alles stehen und fallen zu lassen und nach Mexiko oder ein anderes fernes Land auszuwandern bzw. wenigstens noch einmal ein Jahr lang dort zu leben, sagt mir eine innere Stimme, dass ich irgendwo mal Wurzeln schlagen sollte, einen guten Job in Berlin finden sollte, wo meine Familie lebt. Zumindest in Deutschland, wo man viele soziale Sicherheiten genießt. Das wird in Zeiten von Corona auch noch einmal besonders deutlich. Ich finde den Gedanken beängstigend, ein Leben lang an dem selben Ort zu leben! Und wie eine Freundin letztens beklagte wird das alles noch komplizierter, wenn man erst einmal Kinder hat! Da müssen Kita- oder Schulplätze organisiert, der Umzug gestemmt und neue Jobs gefunden werden. Natürlich ist das trotzdem alles möglich und wer das wirklich möchte, kann es wahrscheinlich auch mit sehr viel Aufwand und Arbeit umsetzen. Irgendwann nach Corona…Doch trotzdem ist diese gewisse Leichtigkeit und Spontanität weg und alles scheint vorhersehbar und monoton.
Auch, weil wir die Welt nicht mehr, wie in Kinderjahren, als immerzu lustigen Spielplatz wahrnehmen und unsere einzige Sorge ist, ob die Schwester oder der Bruder gemeinerweise mehr bunte Streusel auf das Eis bekommen hat als wir.
30 ist das neue 20!

„30 ist das neue 20!“ meinte ich letztens trotzig zu einer Freundin die sich darüber gefreut hatte, dass ich auch bald wie sie 30 sein würde. Daraufhin sagte sie lachend „Ja, sag das mal deiner biologischen Uhr!“. Und leider hat sie damit auch ein bisschen recht. Ich weiß noch nicht einmal ob ich je eigene Kinder haben möchte! Für die Umwelt wäre es besser, sich einfach nicht zu vermehren und seinen eigentlich egoistischen Wunsch nach Nachkommen aufzugeben. Machen Kinder überhaupt glücklich? Das sind tatsächlich Fragen, die ich mir mittlerweile manchmal stelle. Vor ein paar Jahren habe ich mir darüber noch keinen einzigen Gedanken gemacht, aber da tickte diese dumme biologische Uhr auch noch nicht! Aber ob sie nun tickt oder nicht, richte ich mich vor allem nach meinem Bauchgefühl und danach, was mir gerade gut tut. Denn auch diese Erkenntnis, dass man auf sich selbst achten muss, bevor man es anderen recht machen möchte, musste ich erst im Laufe der letzten Jahre lernen.
Durch eine chronische Darmerkrankung und die Eigenschaft, sehr empfindsam und schnell reizüberflutet zu sein, begann ich, mich mehr mit den Themen gesunde Ernährung und psychische Gesundheit auseinanderzusetzen.
So habe ich angefangen, mehr auf meinen Körper zu hören, mich gesünder zu ernähren und zu versuchen (Betonung auf „versuchen“) mehr Sport zu machen und für Auszeiten zu sorgen. Ich treffe mich gerne mit Freunden oder lerne neue Leute kennen, aber in einer kleinen und feinen Runde, koche und esse gerne zusammen und trinke dabei das ein oder andere Glas Wein. Und weil ich ja erwachsen und vernünftig bin und weiß, wie schlecht Alkohol und auch Kaffee für meinen Körper sind, versuche ich dann mit Detox-Challenges entgegen zu wirken. Weil das aber absolut keinen Spaß macht, fällt es mir wirklich schwer, das eine Weile durchzuhalten.
Ich glaube, dass vor allem ich schon immer hohe Erwartungen an mich selbst hatte, auch darüber wie mein Leben mit 30 aussehen sollte. Und ich merke, dass mich einige Wünsche und Vorstellungen aus meiner Kindheit heutzutage nicht erfüllen würden. Genau hier ist der Knackpunkt. Ja, es sollten bewusst, selbstständig und eigenverantwortlich Entscheidungen getroffen werden, die einen persönlich weiterbringen und niemandem schaden. Und vielleicht sollte man sich tatsächlich darüber bewusst werden, dass zum Beispiel ein in Maßen getrunkener Wein in guter Qualität besser ist, als eine Flasche Bisongras-Vodka mit Apfelsaft und eine Flasche Graf Artos. Aber bei aller Liebe zur Vernunft und zu korrekten Entscheidungen, sollte man nicht mit „angezogener Handbremse“, wie eine Freundin mal sagte, leben und einfach eine neue und persönliche Vorstellung von Erwachsensein entwickeln, die auch Raum für Sinnlosigkeit, Fehlentscheidungen, Spontanität, Spaß, Albernheit und Zweckfreiheit einräumt. Und die sich immer wieder neu an die jeweilige Lebenssituation und an die eigenen Wünsche anpassen lässt.
In diesem Sinne: Cheers auf die 30!