„Flamenco? Was war das noch einmal? Ach, das auch Argentinien, oder? Ach nee, das war Tango.“ Das höre ich oft, wenn ich Bekannten von meinem wöchentlichen Tanzkurs erzähle. Bei den meisten macht es Klick, wenn ich sage „Das aus Spanien. Mit den Kastagnetten“. Dann stellen sich die meisten eine temperamentvolle Spanierin vor und denken an den letzten Andalusien-Urlaub. Dass Flamenco auch in Berlin gelernt und getanzt werden kann, wissen viele nicht. Flamenco-Tanzen bedeutet, seinen Emotionen Raum zu geben. Und weil es so spannend und vielseitig ist, möchte ich euch ein Interview mit der Flamenco-Lehrerin Sabine Rekowski von marcao flamenco vorstellen.
Es geht um die Persönlichkeit des Tänzers und um alle menschlichen Gefühle.

Sophie: Dann lass uns doch einfach mal beginnen. Ja, vielleicht kannst du dich ganz kurz vorstellen?
Sabine: Ja, Hallo. Ich bin Sabine Rekowski und ich bin Flamenco-Tänzerin und Flamenco-Lehrerin.
Sophie: Und für jemanden, der vielleicht noch nie von Flamenco gehört hat: Könntest du kurz beschreiben was es ist?
Sabine: Also, Flamenco ist ein sehr emotionaler, ausdrucksstarker Tanz, bei dem wir mit den Füßen Perkussion machen und der viel Hand- und Armbewegung hat. Und wir tanzen auch mit verschiedenen Accessoires, wie Rock, Fächer, Hut, Tuch und es geht um die Persönlichkeit des Tänzers und um alle menschlichen Gefühle, die es so gibt. Also Leid, Einsamkeit, Freude, Wut, Ausgelassenheit, halt alles.
Sophie: Ok, super. Danke. Ja, wie bist du denn zum Flamenco gekommen und warum hat es dich so fasziniert?
Sabine: Also mich hat vor allem das Thema Tanz interessiert. Ich kam damals aus dem Bauchtanz und hatte zum Geburtstag eine Platte von Paco de Lucía bekommen. Und weil ich offen war, dachte ich, ach, Flamenco ist auch cool, bin ich dann zu meiner ersten Flamenco-Stunde gegangen. Und später, als ich mich ein bisschen mehr mit dem Tanzen beschäftigt hatte, wollte ich gern eine Tanzausbildung machen. Das hatte ich mir gewünscht und das gab es halt nur beim Flamenco. Flamenco ist aber eher Liebe auf den zweiten Blick gewesen und da hat sich dann auch einfach alles entwickelt. Fasziniert hat mich, dass alle menschlichen Gefühle darin Platz haben und dass es mir so gut getan hat und mich befreit hat, wenn ich Flamenco getanzt habe.
Sophie: Ah ok. Wie war denn deine allererste eigene Flamenco-Stunde? Also bei wem und wo hast du es gelernt und wie war der Unterricht dann danach?
Sabine: Also ich hatte meine erste Unterrichtsstunde in Berlin, bei einem Schüler von Manuel Moreno. Damals, das ist keine Ahnung 30 Jahre her, oder 35, gab es ja noch nicht so viel. Also bei dem Guido. Und da habe ich später auch die Ausbildung gemacht, bei Manuel Moreno. Und dann war ich noch bei Celia Rojas und auch einige Monate in Spanien. Naja, und damals war das alles noch ein bisschen strenger als heute (lacht).
Sophie: Und wie bist du dann zur Flamenco-Lehrerin geworden?
Sabine: Also irgendwie war es ganz organisch, aber ein schwerer Weg, weil ich habe schon gemerkt, dass ich Tanzen sehr liebe. Und auch als Kind, wenn ich es im Fernsehen gesehen habe, dann dachte ich „Das möchte ich machen!“. Und meine Eltern hatten aber kein Gehör dafür. Es gab auch nichts bei uns auf dem Dorf. Ich bin in einem kleinen Dorf in Nordrhein-Westphalen aufgewachsen und es ging halt einfach nicht. Und das habe ich ziemlich früh gemerkt, aber es war halt auch ein steiniger Weg. weil ich konnte mir das nicht vorstellen, dass ich das wirklich machen kann. Dass es wirklich klappen könnte, dass ich meine Wünsche verwirklichen könnte.

Sophie: Und dann hat es aber geklappt?
Sabine: Genau. Dann habe ich Gleichgesinnte gefunden und dann entwickelte sich alles Schritt für schritt. Also der Weg tat sich irgendwie auf, wir haben erste Auftritte gemacht, wir haben erste Workshops gemacht und ich habe dann mein Flamenco-Studio gegründet. Wir hatten unsere eigene Band, mit der wir Musik gemacht haben und ab und zu Auftritte gemacht haben. Der Weg tat sich dann auf.
Und das Tanzen ist etwas, das mich, wenn ich traurig bin oder unglücklich, meistens wieder glücklich macht.
Sophie: Das war wahrscheinlich auch Schicksal. Also wenn man daran glaubt. Hat dich das Tanzen denn insgesamt in deinem Auftreten verändert?
Sabine: Ja, auf jeden Fall. Einerseits war ich schon auch immer mutig und habe mich auch getraut so Träume überhaupt auch zu haben und zu sagen „Oh, das will ich gerne machen!“, auch wenn ich mich nicht getraut habe, es zu tun. Und andererseits war ich auch eine sehr schüchterne junge Frau. Ich kam vom Dorf. Und durch den Tanz kam ich dann zu mir und zu meiner Kraft gefunden. Und das Tanzen ist etwas, das mich, wenn ich traurig bin oder unglücklich, meistens wieder glücklich macht.
Sophie: Ja, das verstehe ich. Was würdest du sagen, kann man vom Flamenco fürs Leben lernen?
Sabine: Dass man wirklich Kraft hat als Mensch. Und dass man, also gerade beim Flamenco, dass man seine Würde als Mensch und dieses Aufrechte , dass man das behält, egal, was passiert. Also auch wenn Sachen passieren, die richtig blöd sind. Aber dass man weiß, okay, aber meine Würde als Mensch, die kann mir keiner nehmen. Egal, was passiert. Und auch, dass die Gruppe, also die Gemeinschaft, wenn man mit mehreren Menschen zusammen tanzt, dass die Kraft gibt. Dieses Tanzen in der Gemeinschaft, in der Gruppe, gibt Kraft. Dass alle Gefühle gefühlt werden können. Gerade beim Flamenco ist es ja wirklich Platz für alles. Das finde ich total klasse und dass wir uns durch Tanz befreien können von allem, was uns belastet. Ich bin so oft schon gebeutelt in die Stunde gegangen und dann danach dachte ich „Hatte ich ein Problem?“. Und alles war gut. Es ist wie eine Stunde Holzhacken, der Körper befreit sich von dem, was ihn blockiert. Und das ist richtig toll.

Also ich möchte, dass sich jeder wohlfühlt, jeder gibt, was er kann und dass wir uns respektvoll behandeln.
Sophie: Und was möchtest du deinen Schülerinnen eigentlich im Unterricht mitgeben? Oder worauf legst du besonders Wert?
Sabine: Ich lege besonders Wert darauf, dass wir alles lernen können, wenn wir dran bleiben und uns bemühen. Lernen, ohne Angst. Und dass jeder ein Recht hat, in der Stunde zu stehen. Also was mir wichtig ist, dass man Respekt voreinander hat und dass, also jeder gibt sein Bestes, und dass es eine freundliche Atmosphäre ist. Ich kenne auch Konkurrenz, bei denen das anders ist und das finde ich nicht schön. Also ich möchte, dass sich jeder wohlfühlt, jeder gibt, was er kann und dass wir uns respektvoll behandeln. Ich und auch untereinander, dass man sich frei fühlt und auch mal Fehler machen zu können. Oder, was heute nicht zu können, aber dafür nächste Woche. Dass jeder ein gutes Gefühl hat, das ist mir total wichtig.
Sophie: Ja, das stimmt. Das ist auch immer so bei uns im Unterricht. Ich freue mich immer darauf und es ist eine so entspannte Gruppe. So viel Frauenpower dann auch immer. Also, wie du meintest, man merkt dann auch die Energie und das Miteinander ist einfach schön.
Sabine: Und ich glaube, das kann halt nur entstehen, wenn man ohne Angst und ohne Konkurrenz tanzen kann. Ich meine, natürlich sage ich mal „das habt ihr toll gemacht“ oder „da ist noch Luft nach oben“, aber ich habe immer den Respekt. Es gibt Tage die laufen mal gut und es gibt Tage die laufen nicht gut. Und wenn man selbst weiß, wie schwierig das ist, kannst du eigentlich nichts anderes machen, als andere zu unterstützen. Dass die Frauen sich aufrichten und erleben, wie stark und wie schön sie sind. Dass sie wirklich den Platz für sich nehmen und auch zu sich stehen, wie sie sind. Also dass sie sehen, ich habe Power und ja, hier bin ich traurig und hier bin ich lustig, ich bin wie ich bin. Ich bin runder gedacht, ich bin größer gedacht, ich bin schlanker gedacht, so wie halt jede ist und dass sie auch Spaß an ihrer Weiblichkeit haben. Dass die Hüfte mit eingesetzt wird, dass ein bisschen Kokette mit eingesetzt wird, dass der Rock geworfen wird, Spaß am Fühlen und Spaß überhaupt. Und überhaupt, also ich schone meine Leute ja auch nicht, dass sie, wenn sie schon etwas älter sind und meinetwegen schon über 70 sind, Herausforderungen annehmen und sie zu meistern, das ist mir auch wichtig. Und auch, dass der Weg vom Didaktischen her nachvollziehbar ist, dass meine Schüler mir folgen können. Also ich habe eine pädagogische Ausbildung, daher empfinde ich das sonst als wenig sinnvoll. Es geht mir darum, dass die Leute erfahren „ich kann es lernen“ und nicht, dass sie zu dusselig sind.
Sophie: Mir ging es ja auch so als Teenagerin, als ich das erste Mal Flamenco-Unterricht genommen habe, hat mir das Tanzen auch geholfen, wenn ich frustriert war oder Liebeskummer hatte, weil es einfach ok war, wie du schon meintest, alle seine Emotionen zeigen zu können im Flamenco. Auch die Wut, dass man mal in den Boden stampfen kann und das war für mich so heilsam und entspannend, dass ich als junge Frau nicht immer nur lieb sein muss, sondern dass man alle Emotionen zeigen kann. Und ja, in welchen Phasen hat dir das Flamenco-Tanzen schon geholfen?
Sabine: Also Flamenco hat mir immer geholfen. Wenn ich gut drauf war, dann konnte ich noch mehr durch die Gegend springen sozusagen und wenn ich nicht gut drauf war, dann hat es mir geholfen, auch mal in den Boden zu stampfen oder mich zu verausgaben. Auch dieses, einfach nur mir zu erlauben zu fühlen. Ich liebe es fühlen. Ich meine, so unschöne Sachen wie Schmerz oder Verlust fühle ich nicht so gerne, aber ich fühle an sich gerne. Ich nehme das gerne war und das ist ja jetzt nicht immer so. Und Frauen werden dann nach dem Motto abgetan „ach, du bist so emotional wieder“, aber das ist einfach etwas so so Menschliches. Ich finde es einfach total wichtig. Und jetzt zum Beispiel, wenn ich einfach, in meinem Kurs oder in der Band früher, wenn wir Musik gemacht haben, dieses gemeinsame Tun, das war für mich, die Kraft der Gruppe und auch ein Stück Heimat einfach. Und sei es nur einer hat Gitarre gespielt, einer hat Palmas gemacht, einer hat gesungen, wir haben in dem Moment einfach Musik, Kunst gemacht. Ja, Heimat. Das war einfach total schön. Es kann aber genau so gut sein, wenn man im Kurs zusammen ist, zehn Frauen stampfen in die gleiche Richtung – bah!- und das ist genauso schön. Das ist einfach dieses Gemeinschaftserlebnis auch.

Sophie: Ja, auf jeden Fall. Genau, es gibt ja auch unterschiedliche Flamenco-Stile oder auf Spanisch „palos“ – hast du da einen Lieblingsstil? Und wenn ja, warum?
Sabine: Als ich mit Flamenco angefangen habe, fand ich die schwereren Gesänge gut wie Tiento, Soleá oder Seguiriya. Ich glaube, ich hatte da einfach noch mehr Wut oder so bestimmte Emotionen in mir, die ich so ein bisschen abtragen wollte. Und dann später haben mir auch die fröhlichen Tänze sehr gut gefallen, Alegría, Guajira. Aber ich habe keinen wirklich Lieblings-palo. Also jedes Gefühl, jeder Stil hat seine Zeit. Aber wenn du mir sagen würdest „nimm einen!“, dann würde ich sagen Alegría. Also Alegría heißt ja Freude und kommt aus Cádiz und da wird das Meer besonnen und die schöne Stadt Cádiz und wie es ist, am Meer zu leben und hat ganz schöne Texte. Und bei einer Alegría da bin ich immer fröhlich.
Sophie: Wir haben bei dir ja auch eine Farruca getanzt. Also ein Tanzstil, der ursprünglich von Männern getanzt wurde und der dann von den Frauen „erobert“ wurde. Kannst du dazu noch kurz etwas sagen und wie der jetzt von Frauen getanzt wird?
Sabine: Also die ursprünglichen Geschichten vom Flamenco die variieren ja immer ein bisschen, weil es hat ja niemand wirklich aufgeschrieben, sondern dann hieß es „ja, mein Opa hat das erfunden!“ „Nein! Das war mein Onkel!“…also, ne? Bis vor wenigen Jahren galt die Farruca als reiner Männertanz, da sie vor allem lange und schnelle Fußteile hatte. Dann haben es auch viele Frauen getanzt, aber immer noch in diesem männlichen Habitus und nur in Hosen. Einige sagen, dass die Farruca einen galizischen Ursprung hat, weil die Andalusier, die nennen die Galizier „Farrucos“. Also das ist immer so ein, da gibt es bestimmt auch wieder andere Versionen. Ich habe mir jetzt ein bisschen die künstlerische Freiheit genommen, sozusagen, das ein bisschen weiter zu interpretieren, indem ich dann sage, ok, wenn es eher ein Männertanz war, was ist denn dieses Strukturierende, dieses Männliche was wir da reinlegen können? Dass wir da einfach reingehen in so ein Prinzip.
Sophie: Könntest du vielleicht von ein paar wichtigen Palos, den Rhythmus mal klatschen, dass man mal hört, wie unterschiedlich die Rhythmen sind?
Sabine: Ich mache mal einen eher dramatischen 4er-Rhythmus. Das ist der Tiento. Und einen fröhlichen. Dass man so den Unterschied hört. Der eine ist der Compás vom Tiento, der ist:
So, Tango ist fröhlicher:
Sophie: Ja, cool!
Sabine: Jetzt machen wir mal einen 12er-Compás. Das ist einmal die Alegría, von der ich eben gesprochen habe. Der ist:
Dann, die Bulería, was auch ein fröhlicher Tanz ist, so auf Festen, fiestas und Partys:

Sophie: Da bekomme ich gleich Lust zum Tanzen! Ich muss noch so viele Stile lernen bei dir. Wenn ich mich jetzt als Flamenco-Neuling oder als Erfahrene dafür interessiere, bei dir Unterricht zu nehmen, wo kann ich dich finden? Wie kann ich dich kontaktieren und wo gibst du regelmäßig Unterricht?
Sabine: Ich bin mit meinen Kursen und Workshops in Berlin und im Berliner Umland unterwegs. Ich bin ja mittlerweile im Berliner Umland sozusagen und deshalb gibt es da auch einiges. Alle Informationen bekommt man auf meiner Website https://www.marcao.com/, über info@marcao.com oder über Telefon: 015117490704.

Sophie: Super! Danke! Und können auch Männer zu dir in den Unterricht kommen?
Sabine: Ja, sehr gerne!
Sophie: Hattest du da schon Erfahrungen?
Sabine: Ja. Ich hatte, ich glaube das Maximum in allen Kursen zusammen war bisher vier. Also es ist übersichtlich. Im Moment habe ich zwei.
Sophie: Und welche Projekte würdest du gern noch in der Zukunft starten? Oder welche Zielgruppen unterrichten?
Sabine: Ich freue mich über Schüler jeden Alters, die Spaß an der Bewegung und am Tanz haben. Ich könnte mir gut vorstellen auch so eine junge Mädchengruppe, so ab 10 oder 11 Jahren, weil ich glaube, für junge Mädchen, wenn die zur Frau werden, ist es auch ganz schön und wichtig, wenn die lernen, wirklich zu stehen und Präsenz zu haben und ihre Meinung auch körperlich darzustellen. Und ich hatte einmal eine Zeit lang, in mehreren Kursen, hatte ich drei über Siebzigjährige. Also in verschiedenen Kursen. Und ich hätte so so so gerne gehabt, dass die sich mal einmal bei einer Veranstaltung zusammentun und dann hätten wir drei über Siebzigjährige gehabt. Ich finde das so cool, aber das hat sich leider nicht ergeben. So etwas mag ich und respektiere ich halt auch. Dass auch Menschen über siebzig zum Beispiel, das waren tolle Frauen, das einfach auch zu zeigen. Ich unterrichte das richtig gerne und ich finde das toll mit den Leuten einfach Flamenco zu tanzen.
Sophie: Ja, sehr cool! Vielen Dank Sabine für das Interview!
Übrigens: Wir suchen noch Tanzverliebte für unsere Flamenco-Gruppe! Meldet euch einfach bei Sabine!